“Nicht jammern, sondern selber machen!”
⟩⟩⟩ von Benjamin Stiebel, Behörden Spiegel
Mehr digitale Souveränität: Das Ziel ist gesetzt und was der schillernde Begriff in seinen verschiedenen Facetten bedeutet, darüber entwickelt sich allmählich Konsens. Auf der staatlichen und volkswirtschaftlichen Ebene geht es nicht um technische Autarkie, sondern darum, Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit bei der Digitalisierung zu erlangen. Das geht am besten durch handeln und vorantreiben eigener Lösungen. So will die Bundesregierung ein europäisches Ökosystem für digitale Identitäten schaffen – mit selbst gesetzten Standards und im Schulterschluss mit der hiesigen Wirtschaft. Wie bei früheren Ansätzen zur elektronischen Identifizierung, namentlich beim neuen Personalweis, wird sich Erfolg nur einstellen, wenn spürbarer Mehrwert mit Nutzerfreundlichkeit einhergeht. Der Beweis soll mit der digitalen Hotelanmeldung als Pilot-Anwendungsfall erbracht werden.
Deutschland und Europa müssen in Schlüsselbereichen eigene digitale Lösungen anbieten. Sofern hoheitliche Aufgaben berührt sind, soll auch der Staat mit von der Partie sein. Das forderte Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, zur Eröffnung des Digitalen Staats. Die Diskussion um digitale Souveränität werde meist sehr abstrakt geführt, findet Bär. Es mache aber keinen Sinn, die Vorherrschaft digitaler Technologien und Plattformen aus USA oder China zu beklagen oder gar pauschal von deren Nutzung abzuraten, solange diese schlicht die überzeugendsten Angebote am Markt seien. “Wenn wir selbst keine guten und nutzerfreundlichen Lösungen anbieten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass andere das Feld bestellen”, so Bär. Ihr Appell: “Nicht jammern, sondern selber machen!”
Eigene digitale Ökosysteme schaffen
Das Bundeskanzleramt versucht es. Im Schulterschluss mit den zuständigen Bundesressorts und Unternehmen wird an einem Ökosystem für digitale Identitäten gebaut. “Wir brauchen digitale, medienbruchfreie und sichere Möglichkeiten, Identitäten nachzuweisen und überprüfen zu können”, so die Staatsministerin. Anders als etwa beim neuen Personalausweis soll die Technik nicht nur sicher, sondern auch zeitgemäß sein, Hürden wie umständliche Lesegeräte dürfe es nicht geben. “Ich gehe davon aus, dass noch vor der Bundestagswahl im Herbst viele Bürgerinnen und Bürger ihre eigene digitale Identität in ihrer Hosentasche mit sich führen werden.” Gemeint ist die sogenannte “ID Wallet”, eine digitale Brieftasche, die auf dem Smartphone gespeichert ist und bei Anmeldungen oder Anträgen elektronisch ausgelesen werden kann. Technische Grundlage ist ein hardwareseitig gesondert gesicherter Bereich auf den Geräten. In der ID Wallet können Bürger/-innen ihre digitalen Identitätsnachweise hinterlegen – allen voran den Personalausweis in digitaler Ausführung. Mit einem Smart-eID-Gesetz sollen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Pilot gestartet
Zur digitalen Identität gehört aber weit mehr. So sollen auch andere Nachweise und Berechtigungen wie die Fahrerlaubnis, der Studierendenausweis oder Bildungsabschlüsse Teil des Ökosystems werden. Die Vision: Wenn für Verwaltungsangelegenheiten oder auch für alltägliche Dienstleistungen Nachweise erforderlich sind, sollen diese zukünftig komfortabel, datensparsam und für alle Seiten sicher digital erbracht werden können. Der erste Anwendungsfall wird seit Mitte Mai pilotiert: der digitale Check-in für Hotelübernachtungen. Für Gastgeber und Geschäftsreisende soll so das Prozedere von Anmeldung und Aufnahme der persönlichen Daten vereinfacht und weniger anfällig für Fehler gemacht werden. Per ID Wallet können nun Mitarbeiter der BWI GmbH, der Deutschen Bahn AG, der Lufthansa AG sowie der Robert Bosch GmbH in Hotels von drei großen Ketten einchecken (Steigenberger, Motel One und Lindner). Die Geschäftsreisenden erhalten von ihren Arbeitgebern digitale Nachweise über die Rechnungsadresse des Unternehmens. Zur Übertragung der persönlichen Meldeanschrift kommt die von der Bundesdruckerei ausgegebene “Basis-ID” hinzu. Leitend ist das Konzept der selbstsouveränen Identität (Self Sovereign Identity, SSI). Das heißt, die Bürger/-innen verwalten und teilen ihre Identitätsnachweise mit ihrer ID Wallet eigenständig. Behörden oder Unternehmen erhalten nur die Informationen, die jeweils für die konkrete Dienstleistung erforderlich sind.
Zum Start des Piloten sagte BWI-CEO Martin Kaloudis: “Wir sind davon überzeugt, dass die Umsetzung der digitalen Identitäten ein guter Beitrag für die digitale Souveränität Deutschlands ist und freuen uns, dass wir unsere Erfahrungen aus der technischen Umsetzung des Piloten auch in die Bundeswehr einbringen können werden.” Darüber hinaus würden bereits viele weitere Anwendungsfälle vorbereitet, freut sich Bär. Als weiteres Beispiel nannte die Staatsministerin das Bewerbungswesen. Das Erbringen von Nachweisen über Schulabschlüsse oder absolvierte Lehrgänge sei bei Unternehmen und in der Verwaltung unterschiedlich gestaltet und zumeist aufwendig. Zudem bestehe bei einfachen PDF-Dokumenten immer ein gewisses Fälschungsrisiko. Mit Sicherheitszertifikaten ließen sich diese Informationen mit der digitalen Identität verknüpfen und nutzerfreundlich und sicher übermitteln.
Initiative läuft weiter
“In den kommenden Monaten werden wir noch viel erreichen, unsere Initiative muss dann auch unbedingt in der nächsten Legislaturperiode vorangetrieben werden”, so Bär. Das Ökosystem müsse aber auch auf die europäische Ebene gehoben werden, für mehr digitale Souveränität müsse Europa zusammenstehen. Mit den EU-Mitgliedsländern und der Kommission sei ein “intensiver Dialog” angestoßen. Rückenwind für das Thema erhofft sich Bär zudem im Rahmen der bevorstehenden Revision der eIDAS-Verordnung. Diese regelt den europäischen Rahmen für den Einsatz von Vertrauensdiensten und elektronischer Identifizierung.
Aller Anfang…
Schließlich hängt bei digitalen Ökosystemen und Plattformen der Erfolg entscheidend von einer starken Nutzerbasis ab. Je mehr Bürger/-innen die digitale Identität nutzen, desto eher werden Anwendungsfälle aus dem Boden sprießen und ein wirklich großes Ökosystem bilden. Wie schon bei der eID-Funktion des neuen Personalausweises wird hier der Knackpunkt liegen. Den elektronischen Personalausweis nutzt bis heute kaum jemand: zu wenig Anwendungsmöglichkeiten, zu kompliziert. Auch die nächste Stufe Smart-eID droht im Sande zu verlaufen, wenn nicht rechtzeitig eine kritische Masse erreicht werden kann. Das Problem: Der vollwertige digitale Personalausweis auf dem Smartphone muss auf einem gesondert geschützten Bereich des Endgerätes hinterlegt werden, dem Secure Element. Technische Voraussetzungen und die nötige Zulassung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik sind bisher nur bei wenigen Smartphone-Modellen gegeben. Wie der Markt sich in dieser Hinsicht weiterentwickelt, ist schwer vorherzusagen. Bisher haben die Hersteller wenig Liebe für deutsche E-Government-Lösungen gezeigt. So dauerte es Jahre, bis Apple bei iOS-Geräten das Auslesen des Personalausweises per AusweisApp über die NFC-Schnittstelle ermöglichte. Eine flächendeckende Ausstattung mit Smart-eID-fähigen Smartphones wird noch auf sich warten lassen. Und ohne starke Nachfrage werden mittelklassige oder preiswerte Geräte sobald nicht Teil des angestrebten Ökosystems werden.