Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Wolfgang Pickl Universität der Bundeswehr München
Wir haben keinerlei Vorstellung davon, was alles gewusst wird. Harald Welzer
Dieser Beitrag greift mehrere Aspekte der Künstlichen Intelligenz (KI) auf, und versucht die obige Frage zu beantworten. Allerdings geht es in diesem speziellen Problemzusammenhang zunächst erst einmal gar nicht um KI, sondern eher um den aktuellen Digitalisierungsprozess in der Gesellschaft, der als solcher im Kontext von Privatheit und Öffentlichkeit nicht explizit genannt wird, aber doch genau die Verbindung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit mehr und mehr prägt und verändert. Zusätzlich geht es um die ergänzende Frage nach dem Nutzen (Profit) und einer zeitlichen Dimension (wann?). Dies ist im Titel deshalb sehr treffend formuliert, da Digitalisierungsprozesse vor allem schnell und dynamisch einhergehen, umgekehrt jedoch bestimmte Auswirkungen erst sehr viel später zum Vorschein kommen. Wenn man sich die Entwicklung eines großen internationalen Versandhandelkonzerns bewusst macht, so äußerte sich der amerikanische Gründer mehrmals dahingehend, dass er einerseits in den ersten 10-15 Jahren massiv traditionelle Prozesse verändern musste, und er andererseits jeden Gewinn unmittelbar in immense Digitalisierungsvorhaben reinvestierte; d.h. in dem ersten Jahrzehnt war das Unternehmen, das mehr und mehr auch dabei komplexe KI-Verfahren integrierte und diesbezüglich auch als Vorreiter gilt, keinesfalls profitabel … damit ist aber noch nicht die Frage umfassend beantwortet.

KI-Basisleistungen in der digitalen Verwaltung
Als Mitinitiator und Koordinator des „Expertennetzes-Prozessmanagement in der Öffentlichen Verwaltung“ setzt sich der Autor seit Jahren für die Integration von Digitalisierungsvorhaben und Modernisierungsprozessen innerhalb von Behörden und Verwaltungsorganen ein, also im Öffentlichen (Raum). In Veranstaltungen des Expertennetzes wird oft die Besorgnis geäußert, dass die Behörden insgesamt dem privaten Bereich, die beispielsweise mit diesem Versandhandelssystem täglich im Kontakt stehen und operieren, schlicht „hinterherhinken“ und kaum mit derartigen Entwicklungsvorhaben Schritt halten können.
CIO Special Interest Group “AI and Analytics”
Auf der anderen Seite engagiert sich der Autor im Interessenverband VOICE (Bundesverband der IT-Anwender) in der Special Interest Group „AI and Analytics“, bei dem es eher umgekehrt ist: Industrielle Anbieter fördern und fordern den Einsatz von digitalen Medien, Technologien und insbesondere KI-Anwendungen, die schnell von einem vorteilhaften Umgang auch in strukturelle Abhängigkeiten hineinweisen. Diese Abhängigkeiten besitzen sowohl eine monetäre als auch vor allem zeitliche Dimension. Daher ist die Eingangsfrage sehr aktuell und inhaltlich treffend gestellt, wenn auch bereits an dieser Stelle ausgedrückt werden soll, dass das Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit nicht (ganz) aufgelöst werden kann. Digitalisierung erleichtert viele Prozesse und verändert dabei auch eine Gesellschaft. Tangiert sind Bereiche wie Information, Kommunikation sowie Transaktionen und Integration. Es ist eine Technologietransformation, wie es beispielsweise die Erfindung der elektrischen Beleuchtung, der Eisenbahn und auch des Telefons war. Der Titel fokussiert jedoch nicht auf Digitalisierungsprozesse, sondern auf den besonderen aktuellen Umgang mit KI. Kommt dadurch auch innerhalb der Digitalisierungsprozessen zukünftig eine neue Qualität zum Ausdruck?
Digitaler Staat – Umgang mit Krisen
Vielleicht sollte man den obigen Bezug auf den Gründer dahingehend abwandeln, dass häufig gar nicht überall bewusst ist, wo zukünftig überall KI enthalten ist bzw. sein wird. Die Gegen-Frage wird sein, ob es nötig ist, dies überhaupt zu wissen? Mit Sicherheit wird man nicht verlangen, überall zu erklären, wo und wie KI-basierte Algorithmen eingesetzt werden.
Allerdings ist KI nur möglich, wenn aufgrund einer ausreichenden Datenlage Entscheidungen entwickelt und optimiert werden können. Häufig ist den Nutzern nicht bewusst, wo und wie mit ihren eigenen Daten umgegangen wird. Und hier kommt nun ein eigentümlicher Prozess in Gange:
Im Privaten geben Personen häufig sehr schnell ihre Daten preis, investieren in neue Kommunikations-Technologien und auch in umfangreiche Service-Dienste, deren Notwendigkeit nicht unbedingt hinterfragt wird. Im Öffentlichen ist es eher umgekehrt:
Man vertraut einer Behörde weniger als einem Unternehmen mit Informations-Plattformen, man ist zurückhaltender und ist auch nicht bereit, Zeit und Geld zu investieren. Die momentane Corona-Krise als auch die gesellschaftliche Durchdringung der Flutkatastrophe haben deutlich gemacht, dass gerade über komplexe Sicherheitsfragen wahrscheinlich der Umgang mit KI und Echtzeitanalysen eine neue Dimension erfahren wird und sollte.
e-democracy und explainable AI
In diesem Kontext kommt dem Staat nun eine doppelte Aufgabe zu. Einerseits soll er den Bürger dahingehend motivieren, auch in und an Digitalisierungs-Technologien zu partizipieren, die beispielsweise die Bereiche e-government, e-health und
e-participation umfassen. Andererseits ist es seine Aufgabe, vor dem Missbrauch von Daten zu warnen und zu schützen, und den Übergang in den Bereich einer
e-democracy zu gestalten. Indem der Staat den ordnungsgemäßen zukunftsweisenden Umgang mit Daten „vorlebt“, kann er dabei auch als Modell für den verantwortungsvollen Umgang mit KI dienen:
DAISY
In dem Forschungsprojekt DAISY (Digital AI System) der Forschungsgruppe COMTESSA sollen im Sinne eines Explainable AI-Ansatzes Vorgänge transparent, etymologisch nachvollziehbar und auch „digital“ nachhaltig werden. DAISY kommt von DAY-EYE: „Man schaut auf den Tag“. – Von Aristoteles stammt das dazu passende Zitat mit Blick auf „Jahre lehren mehr als Bücher“. In abgewandelter Form könnte man heute noch formulieren, dass die Erfahrung dem reinen Wissenserwerb überlegen ist. Dies sollte man immer im Umgang mit Daten und KI im Hinterkopf haben, auch wenn eine starke KI nur durch und über sehr viel Erfahrungswissen entwickelt werden kann. Daher soll abschließend ein Zitat erwähnt werden, dass trotz aller Digitalisierungsentwicklungen nicht nur für das erwähnte Unternehmen auch zukünftig noch Bedeutung haben wird. Da es ein älteres Zitat ist, ist wird damit auch die zeitliche Dimension der Frage indirekt beantwortet.
„Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.“
Heinrich von Pierer