Blockchain und KI – zwischen Hype und Hoffnung
⟩⟩⟩ von Kilian Recht, Behörden Spiegel
Blockchain, Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz und Co. – was in der Industrie stellenweise bereits zum Standard gehört, liegt in der öffentlichen Verwaltung noch in weiter Ferne. Oder ist die Verwaltung bereits fortschrittlicher, als man ihr zutraut? Und wann braucht es eigentlich welche Technologie, wenn sie einen echten Mehrwert bieten soll, statt bloß Aushängeschild zu sein?
Werner Achtert, Geschäftsleitung Public Sector bei msg, schafft zunächst Vorurteile gegen Künstliche Intelligenz aus der Welt. Erstens sei KI keine Bedrohung für Angestellte: “Gerade in der öffentlichen Verwaltung wird KI keine Arbeitsplätze vernichten, sondern dazu beitragen, dass die Servicequalität staatlicher Aufgaben für Bürger und Unternehmen angesichts des demografischen Wandels langfristig auch mit weniger Personal erhalten werden kann.” Vorwurf Nummer zwei: KI würde diskriminieren, doch, so Achtert: “Dabei tun KI-Systeme nur eines: Sie werten Daten aus und ziehen Rückschlüsse durch Korrelationen.” Was Sie nicht könnten, sei Kausalzusammenhänge zu erkennen. Diskriminierungsmuster könnten nur durch die Auswahl der Trainingsdaten und die gewählten Attribute für den Lernprozess entstehen. Daher müssten die Trainingsdaten genau geprüft werden. “Der Einsatz birgt zweifellos das Risiko, bestehende Diskriminierungen zu verfestigen, aber auch die Chance, sie zu erkennen”, sagt Achtert.
Dr. Jesper Zedlitz, verantwortlich für Digitale Agenda und Zentrales IT-Management im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, hält zudem fest: “Wenn man eine KI hat in der Verwaltung hat, deren Entscheidung man nicht nachvollziehen kann – Das ist eine gefährliche Sache.” Daher müsse man diese Trainingsdaten offenlegen.
Wenn schon KI, dann richtig
Doch wann braucht es die Technik eigentlich in der Verwaltung? Christian Meyer, Principal Consultant bei msg, relativiert den Hype: “Wenn Sie anhand von vorgegebenen Regeln etwas auswerten wollen, also im einfachsten Sinne kategorisieren wollen, weil auf einem Formular ein bestimmter Projektbetrag steht oder ein bestimmtes Land, dann brauchen Sie gar keine KI. Sie brauchen an sich die KI, wenn Sie komplexere Muster herausbilden wollen, die Sie nicht mit Regeln beschreiben können, weil Sie nicht an alle Möglichkeiten denken können als Mensch beziehungsweise diese Regeln dynamisch sind.” Beispielsweise würden sich Steuergestaltungsmodelle ständig ändern und neue Ideen hinzukommen, so Meyer weiter. Bei einem solch großen Anpassungsbedarf benötige es selbstlernende Systeme, also KI, die sich immer wieder dynamisch und ohne menschliche Steuerung an sich ändernde Sachverhalte und Gesetze anpasse.
Bereits künstlich intelligent
Was so begehrenswert klingt, schlummert meist schon unter der Oberfläche vieler Verwaltungseinheiten. Die Frage “Wo kriege ich all das her?” müsse man gar nicht stellen, gibt Kai Fischer, Public Sector Business Developement Executive bei Oracle, zu bedenken. KI und Maschinelles Lernen seien meist bereits beschafft und vorhanden. “Das wird schon real betrieben, das haben sie schon, die meisten wissen es nur nicht”, sagt Fischer. Konkret vorhanden sei bereits das Verfahren sowie die dazugehörige Datenbank, die über die Infrastruktur eines Betreibers laufe, inklusive Back-up und Sicherheitskonzept. Dazu komme dann der Gedanke, dass es noch ein kleines Helferlein brauche, das die Arbeit automatisiert erleichtere. Jedoch sei dies oft bereits vorhanden: “Jeder, der eine Oracle-Datenbank unter seinem Verfahren hat, hat automatisch schon das Machine Learning in der Datenbank und somit beispielsweise Anomalieerkennung und Text Mining mitbeschafft”, so Fischer.
Die nächste Heilsbringerin
Neben Künstlicher Intelligenz gilt auch die Blockchain-Technologie als Hoffnungsträger mit vielfältigen Anwendungsbereichen, die weit über den Einsatz für digitalen Geldersatz hinausgehen. In der Industrie wird Blockchain-Technologie beispielsweise bei der Authentifikation innerhalb von Lieferketten angewendet. Gerade wenn man betrachte, dass man sich in der analogen Welt vor der Verwaltung ständig neu identifizieren müsse, sei die Blockchain mit Self-Sovereign-Identities und Zero-Knowledge-Proof geradezu ein Heilsversprechen, die den digitalen Staat vertrauenswürdiger mache, so Christian Bressem, Vorstandsmitglied im Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ). Bressem sieht aber auch: “Das verspricht ja viel und gleichzeitig sehen wir, in der öffentlichen Hand ist relativ wenig in der Blockchain umgesetzt.”
Mehr als digitales Geld
Dabei kann die Technologie für etliche Felder der digitalen Verwaltung nützlich sein. Neben der Schaffung einer digitalen Währung sind laut Christian Bressem viele weitere Anwendungen möglich. So könne die Technologie als Ersatz für Serviceintermediäre bei Beglaubigungs- und Bestätigungsdiensten genutzt werden, also die Dokumentation von Vertragsabschlüssen sowie die Bestätigung der Echtheit von Dokumenten und Eigentumsverhältnissen erbracht werden. Auf der Blockchain aufbauend könne außerdem ein Ersatz von Identitätsnachweisen und Urkunden geschaffen werden. Solch ein digitales Identitäts-Wallet könne dann Personalausweis, Impfausweis und Führerschein beinhalten. Zudem könne die Technologie im Rahmen von Smart Contracts als Mittel für verbriefte Rechte und Verträge dienen, bei denen die Blockchain das Vertrauen der Beteiligten feststellt und es ermöglicht, Verträge automatisiert ablaufen zu lassen. Vor allem aber sei die Blockchain eine Brückentechnologie, die Kooperationen sichern und Vertrauen zwischen Verwaltungen herstellen könne, so der NEGZ-Vorstand. Und weiter: “Die Blockchain bietet Effizienzversprechen, bietet Lösungsszenarien, meist aber nicht im Gesamtprozesskontext, und es ist bei jedem dieser Einsatzfälle eine Menge an Wenns und Danns zu berücksichtigen.”
Blockchain – und wenn ja, wie viele?
Anwendungsfälle gibt es also genug. Doch muss es für jedes Vorhaben gleich die Blockchain sein? Prof. Dr. Moreen Heine von der Universität Lübeck und Mitglied im NEGZ, stellt Entscheidungshilfen vor, anhand derer sich diese Frage beantworte lässt. Zunächst müsse man sich fragen, ob überhaupt Daten gespeichert werden müssten. Wenn keine Daten zu speichern seien, brauche man sich keine Gedanken über die Blockchain machen. Zweitens müsse es mehrere voneinander unabhängige Akteure geben, die Einträge vornehmen müssten. Drittens müsse die Frage gestellt werden, ob es einen gemeinsamen, vertrauenswürdigen Akteur gebe, der den zentralen Zugriff bereitstellen und organisieren könne. Gebe es diese zentrale Stelle wie beispielsweise einen Notar nicht, müsse gefragt werden, ob sich die Partner untereinander vertrauten. Dann könne man eine zentrale Lösung finden. Wobei dann wieder fraglich sei, ob sich der Einsatz einer Blockchain lohne. Am kniffligsten ist laut Heine aber zu beantworten, unter welchen Umständen die Blockchain wirtschaftlicher ist als andere Automatisierungslösungen. Festhalten lässt sich jedenfalls: “Die Beschäftigung mit der Blockchain lohnt bei allen Digitalisierungsfragen, die man hat. Die Nutzenfrage ist aber in den Mittelpunkt zu stellen und die Technologiefrage der Blockchain schließt sich dem an. Umgekehrt bedeutet das auch, dass Blockchain-Experten die Argumentation für die Blockchain in den Kontext der Digitalvorhaben setzen müssen”, so Christian Bressem. Diesen Nutzen festzustellen, wird wohl zunächst die schwierigste Aufgabe für die Verwaltung werden.