Ein Land setzt sich in Bewegung
Gastbeitrag von Alexander Schweitzer, rheinland-pfälzischer Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung
Mit dem Beginn der neuen Legislaturperiode wagt Deutschland den Aufbruch. Nach vorne soll es gehen im Kampf gegen den Klimawandel und bei der Digitalisierung – mit technologischer Innovation und einem neuen sozialen Zusammenhalt.
Um es mit den komplexen Herausforderungen unserer Zeit aufzunehmen, soll vor allem in einen Bereich Bewegung kommen: die öffentliche Verwaltung. Nach dem Willen der neuen Bundesregierung soll die Verwaltung nicht nur moderner, offener und digitaler, sondern auch flexibler werden. Ressortübergreifende Projektteams sollen Probleme künftig interdisziplinär und kreativ angehen, das Silodenken überwunden werden. Im Mutterland des Weberschen Bürokratiemodells ein echter Paradigmenwechsel. Er kommt zur rechten Zeit.
Öffentliche Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen stehen durch Klimawandel und Digitalisierung, die damit einhergehende Transformation der Wirtschafts- und Arbeitswelt sowie den demografischen Wandel vor komplexen Gestaltungsaufgaben. Gemeinsam ist diesen Entwicklungen die Gleichzeitigkeit, die wechselseitige Abhängigkeit und die hohe Dynamik der Veränderung, der in Rheinland-Pfalz unter anderem mit einem neuen Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rechnung getragen wird.
Damit Ministerien, Ämter und Behörden auch in Zukunft handlungsfähig bleiben, muss unsere Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen beweglicher werden – in den Strukturen, in der Zusammenarbeit, im Denken und mithilfe digitaler Lösungen. Der drohende Fachkräftemangel setzt Amtschefinnen und Amtschefs zusätzlich unter Druck: Will die öffentliche Verwaltung im Wettbewerb um die besten Köpfe auch in Zukunft mithalten können, muss sie sich neuen Arbeitsweisen und der modernen Arbeitswelt öffnen. Kurz: Verwaltungen müssen mehr Agilität wagen.
Agilität als Organisationsmodell stammt aus der Softwareentwicklung und beschreibt die Zusammenarbeit in crossfunktionalen Projektteams. Wesentlicher Kern agiler Ansätze ist die Überwindung von Hierarchien und Zuständigkeiten, stattdessen gewinnen Flexibilität, Kooperation und Eigenverantwortlichkeit als Erfolgsfaktoren an Bedeutung.
Agile Methoden, Strukturen und Arbeitsweisen haben insbesondere im Zuge der Verwaltungsdigitalisierung und der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes einen Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung angestoßen. Der Erfolg der Digitalisierungslabore bei der OZG-Umsetzung, in denen digitale Verwaltungsleistungen konsequent aus der Nutzerperspektive entwickelt wurden, zeigt das Potenzial auf, das für die öffentliche Hand in der Anwendung von agilen Ansätzen wie Design Thinking steckt – für die Daueraufgabe Verwaltungsdigitalisierung und darüber hinaus.
Denn auch abseits der digitalen Transformation der Verwaltung werden die politischen Gestaltungsaufgaben eher größer als kleiner. So wird die Gestaltung des Strukturwandels unserer Wirtschafts- und Arbeitswelt nur dann erfolgreich sein, wenn es uns gelingt, die komplexen technologischen, sozialen und ökologischen Fragestellungen in eine Gesamtstrategie zu überführen. Dafür braucht es das Wissen, die Kreativität und die Vernetzung der Vielen, nicht der Wenigen. Unter Bedingungen der Unsicherheit können agile Denk- und Arbeitsweisen dazu beitragen, die staatliche Handlungsfähigkeit zu erhalten, die Reaktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhöhen und die Innovationskraft der öffentlichen Hand zu stärken – und gleichzeitig die Attraktivität der Verwaltung als moderner Arbeitgeber zu steigern. Agiles Verwaltungshandeln ist dabei auch in Zeiten der Digitalisierung kein Automatismus, sondern setzt agile Führung voraus: Verwaltungschefinnen und Verwaltungschefs mit Mut zur Veränderung, Zutrauen in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Bereitschaft, kreative Freiräume auch außerhalb der eingeübten Hierarchien der Amtsbürokratie zu ermöglichen – im Rahmen der rechtlichen und politischen Möglichkeiten.