Flächendeckung ist beim OZG eine der größten Herausforderungen
⟩⟩⟩ von Matthias Lorenz, Behörden Spiegel
Die Zielmarke des Onlinezugangsgesetzes (OZG) Ende 2022 rückt immer näher. Wie auf dem Nordl@nder-Kongress des Behörden Spiegel deutlich wurde, ist in der aktuellen OZG-Umsetzungsphase die eigentliche Digitalisierung von Anträgen kein Problem mehr. Nun warten andere Herausforderungen, zum Beispiel die Flächendeckung oder das Generieren von hohen Nutzerzahlen. Diese Ansicht teilt zum Beispiel Sven Thomsen, CIO des Landes Schleswig-Holstein. „Wir wissen, wie wir Online-Dienste bauen. Gelernt haben wir auch, wie wir die Dienste serviceorientiert und für die ganze Bundesrepublik erstellen.” Auch Dr. Horst Baier, IT-Bevollmächtigter der Landesregierung in Niedersachsen, sagt, dass man zuversichtlich sei, alle eigenen OZG-Leistungen bis Ende 2022 digitalisiert zu haben und auch über alle vorhandenen EfA-Nachnutzungsleistungen zu verfügen. „Die Erfahrung zeigt aber, dass der Flächenrollout eine besondere Herausforderung ist. Ich vermute, dass dieser erst 2023 abgeschlossen sein wird”, so Baiers Einschätzung. Seine Forderung ist deswegen simpel: Man müsse alle mitnehmen. Kommunen bräuchten, auch aufgrund der Komplexität der OZG-Thematik, viel mehr Unterstützung von den Bundesländern. Baier betont jedoch auch: „Jede Kommune muss auch Finanzen und Personal in die OZG-Umsetzung investieren.” Klaus Wierwille, Director Government & Public Services bei Deloitte, kann sich Baiers Aussagen anschließen und berichtet, manche Kommunen seien bei der OZG-Umsetzung noch überfordert. Er weist aber auch auf Folgendes hin: „Viele Kommunen haben nicht genug Personal. Außerdem wünschen sie sich mehr Vorgaben seitens der Länder.”
Diese Probleme bestätigt auch Linda Köhler, die in Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover im Fachbereich Soziales tätig ist. Die Stadt ist Pilotkommune bei den OZG-Leistungen Landesblindengeld und Hilfe zur Pflege. „In Kommunen ist, gerade was die technische Seite angeht, häufig das Know-how nicht vorhanden”, sagt Köhler. Es handele sich dabei, aber auch bei der Digitalisierung insgesamt, um ein sehr komplexes Thema, welches schwer zu durchdringen sei. Gerade in Anbetracht fehlender Personalressourcen sei die OZG-Umsetzung für Kommunen neben den alltäglichen Aufgaben kaum zu bewältigen.
Dies zeigt: Die Flächendeckung ist auch deshalb eine große Herausforderung, weil das OZG-Thema für viele Kommunen eine hohe Hürde darstellt. Die Bundesländer versuchen deswegen, die Kommunen, so gut es geht, zu unterstützen. „In Schleswig-Holstein finanzieren wir die digitale Basisinfrastruktur auch im Betrieb für die Kommunen”, erklärt Dr. Moritz Karg, Referatsleiter Grundsatzangelegenheiten Digitalisierung und E-Government aus dem Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes. Auch finanziere man die Implementierung einer Referenzlösung. Wenn die Kommunen jedoch eine andere Lösung nutzen wollten, müssten sie dieses Vorgehen auch selbst bezahlen, so Karg.
Starke Zusammenarbeit
Bei allen Herausforderungen in der Flächendeckung heben die Handelnden in der Verwaltung aber auch hervor, dass Zusammenarbeit noch nie so gut wie beim OZG funktioniert habe. Unter anderem das EfA-Prinzip habe dafür gesorgt, dass zwischen Bund, Ländern und Kommunen diese Zusammenarbeit erstmals so intensiv gewesen sei, erläutert Dr. Martin Hagen, Staatsrat für Haushalt, Personal und IT beim Bremer Senator für Finanzen. Ina-Maria Ulbrich, Staatssekretärin im Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommerns und Landes-CIO, ergänzt, es habe auch deutlich mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachebenen gegeben. Ihre Schlussfolgerung: „Wir brauchen auch diesen viel stärkeren Austausch zwischen den Ressorts.”
Angesichts der Probleme vieler Kommunen bei der OZG-Umsetzung findet auch Köhler von der Stadt Hannover die Zusammenarbeit mit dem Land im Pilotprojekt gut: „Es ist richtig und wichtig, dass die Kommunen von Anfang an miteinbezogen werden.” Diese könnten so ihre Erfahrung und ihr Wissen aus der Praxis, zum Beispiel über die Kundenstruktur, miteinbringen. Die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger würden so berücksichtigt. Außerdem würde so auch auf Landesebene eine Sensibilisierung für die Abläufe in der Verwaltung geschaffen. Eine große Entlastung für die Kommunen sei auch, dass sich das in Niedersachsen zuständige Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung um die Anbindung der OZG-Leistungen an das entsprechende Fachverfahren kümmere.
Charlotte Wallat, die in diesem Ministerium als Referentin für Inklusion für Menschen mit Behinderung arbeitet, betont, dass diese Zusammenarbeit auch von Landesseite her geschätzt werde. Insbesondere seien die Testphasen in den Pilotkommunen sehr wichtig, in welchen der Adressatenkreis, der schon bei der Konzipierung der digitalen Leistungen einbezogen worden sei, noch mal beteiligt werde. Im Themenfeld Gesundheit, für das das Land Niedersachsen bei der OZG-Umsetzung federführend zuständig sei, seien dies neben den Kommunen zum Beispiel der Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen. „Durch die Durchführung mehrerer Testschleifen nähert man sich dem Produkt, so wie man es am Ende haben möchte, immer weiter an”, erläutert Wallat.
Eine Empfehlung, die auch mehrere OZG-Praktiker teilen, ist, sich den großen Fragen, die im OZG-Zusammenhang auftreten, zu stellen. So berichtet Hamburgs CIO Jörn Riedel, man müsse das kulturelle Problem lösen, dass Dinge nicht umgesetzt würden, weil rechtlich nicht alles glasklar sei. „Wir dürfen aber nicht alle möglichen Klärungspunkte abwarten, sondern brauchen die Mentalität, Dinge trotzdem umzusetzen”, so Riedel. Auch müsse erkannt werden, dass die OZG-Umsetzung zwar Ausgaben verursache, aber auch Kosten vermeide. Dieser Zusammenhang werde oft noch nicht hergestellt.
Der Bremer Staatsrat Dr. Hagen erläutert eine weitere der großen Fragen, den man sich stellen müsse. Einige OZG-Leistungen würden von denen Bürgerinnen und Bürgern bereits sehr gut genutzt, andere weniger. Beispielsweise entfielen in Bremen beim Anwohnerparken nur 41 Prozent der Anträge auf die Online-Variante. „Es reicht also nicht, die Anträge online zu haben”, sagt Hagen. Man müsse sich angucken, welche Anträge in welchen Städten wie viel genutzt würden und daraus Schlussfolgerungen für das eigene Handeln ziehen. Um die Nutzerzahlen zu erhöhen, plädiert Dr. Baier dafür, die User Experience der Leistungen weiter zu verbessern und auch Marketing für die Angebote zu betreiben. Hagen kann sich einen anderen Weg vorstellen und verweist auf die Vorgehensweisen von Ländern, die oftmals als Vorreiter der Verwaltungsdigitalisierung gesehen werden: „Estland, Österreich und Dänemark haben hohe Nutzerzahlen nur erreicht, weil es einen Zwang zur Online-Nutzung gab.” Dieser Weg müsse auch in Deutschland in Betracht gezogen werden, was aber allen Parteien sehr schwerfalle. Die jetzigen Herausforderungen in Sachen OZG sind also klar: Es geht vor allem um die flächendeckende Verfügbarkeit und um die Erhöhung der Nutzerzahlen bei bereits verfügbaren digitalisierten Leistungen. Daneben stellt sich auch die Frage, wie es nach dem OZG weitergeht. Hier betonen viele Teilnehmenden man müsse auch die Digitalisierung des Back-Ends in den Fokus nehmen. Dies sei aus Kommunensicht der Hauptpunkt, sagt zum Beispiel Linda Köhler. Durch das OZG allein sei noch nicht viel gewonnen, wenn der digital eingereichte Antrag in der Verwaltung ausgedruckt würde und den Bürger am Ende ein Bescheid in Papierform erreiche. Auch Charlotte Wallat sieht im Fehlen von Digitalisierungsvorgaben für das Back-End die Schwäche des OZG. Es brauche möglichst schnell ein Gesetz für die Digitalisierung des Back-Ends.