Digitale Angebote sind ein Anspruch der Verwaltung selbst
Gastbeitrag von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Die Corona-Pandemie hat Trends und Themen der digitalen Transformation noch einmal besonders in das gemeinsame Bewusstsein gerückt – und die Ansprüche entsprechend verstärkt. Die Digitalisierung der Verwaltung wurde in den letzten Monaten vermehrt zur Schlagzeile. Die in der öffentlichen Debatte mitschwingende Botschaft ist dabei oft gleich: Die Gesellschaft schreite digital voran, während der Staat „hinterherhinke“. Die öffentliche Verwaltung müsse die „digitale Lücke“ endlich schließen und nachholen, was Online-Banking und E-Commerce so erfolgreich vorgemacht haben: die nutzerfreundliche, vollständig digitale Abwicklung von Anfragen, Anträgen und Arbeitsabläufen. Gänzlich falsch ist diese Botschaft nicht.

Ein Stück weit verkennt sie allerdings, welche enormen Anstrengungen bereits unternommen werden. Dies ist gerade für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung nicht ohne Frustrationspotenzial, denn manche schnell erhobene Klage wird als geprägt von Missverständnissen über die Funktionsweise der Verwaltung und fehlender Wertschätzung des Erreichten wahrgenommen. Dabei sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur die entscheidenden Träger des Wandels und haben angesichts der mit Digitalisierungsmaßnahmen einhergehenden Aufgabenfülle Anerkennung verdient. Sie sind auch in aller Regel selbst digitale Enthusiasten, die die Chancen der digitalen Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger und für sich selbst erkennen.
Die oben skizzierte Botschaft der „hinterherhinkenden“ Verwaltung zeichnet daher zwar den richtigen Anspruch, aber ein schiefes Bild von Anspruch und Motivation. Die Verwaltung ist nicht Getriebene eines aus der Gesellschaft an sie herangetragenen Digitalisierungsanspruchs. Sie ist selbst motiviert, die digitale Transformation voranzutreiben und handelt dabei nicht nur kundenorientiert, sondern auch im ureigenen Interesse.
Da eine sinnvoll gestaltete Digitalisierung auch mit einer Prozessoptimierung einhergeht – getreu dem Motto „einen schlechten Prozess digitalisieren, bedeutet, einen schlechten digitalen Prozess zu erhalten“ – bieten sich konkrete Chancen für ein effizienteres Verwaltungshandeln. Digitale Verfahren können zudem von Routine-Aufgaben entlasten und Kommunikation erleichtern. Und nicht zuletzt sind es digitale Technologien, die durch die Möglichkeit mobiler Arbeit Flexibilität und Lebenszufriedenheit erhöhen und damit die Verwaltung als attraktiven Arbeitgeber stärken – im Wettbewerb um Fachkräfte ein entscheidender Faktor.
Es ist nicht das Selbstverständnis der Verwaltung, gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherzulaufen. Verwaltung hat den Anspruch, Lebensverhältnisse im Sinne des Allgemeinwohls zu gestalten. Der Ausbau des E-Government macht die Verwaltung zu einem aktiven Mitspieler in gesellschaftlich wichtigen Themenfeldern: von der digitalen Souveränität über die Gestaltung der politischen Beteiligung bis zur Bereitstellung offener Verwaltungsdaten für innovative Geschäftsmodelle.
Digitalisierung stellt sicher, dass die Verwaltung auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann und in Krisen handlungsfähig bleibt. Dies gilt gleich in zweifacher Hinsicht: Die Digitalisierung der Verwaltungsabläufe erfordert zwar erhebliche Anfangsinvestitionen, führt aber mittelfristig zu Effizienzsteigerungen und Renditen, weil sich Ausgaben reduzieren oder die Aufgabenerledigung weniger Zeit benötigt. Die Ressourcen, die hierdurch frei werden, können an anderer Stelle genutzt werden – angesichts der enormen gesellschaftlichen Transformationsherausforderungen und zunehmender Komplexität sichert das dringend erforderliche finanzielle Handlungsspielräume. Zudem kann eine Verwaltung mit hoher Digital-Kompetenz schnell auf Ausnahmesituationen reagieren, etwa durch die schnelle und hochfrequente digitale Abwicklung von Förderverfahren wie bei der Corona-Soforthilfe oder der Fluthilfe.
Die Transformation der Verwaltung ist ein Großprojekt, das weiterhin auf der Beschleunigungsspur zu befahren ist – weil es der Anspruch des digitalen Zeitalters ist, weil Unternehmen wie Bürgerinnen und Bürger zu Recht diesen Anspruch erheben und weil ein modernes Land auch entsprechende Angebote machen muss. Nicht zuletzt aber eben auch, weil die Verwaltung selbst ein Interesse daran hat, weil sie den Anspruch an sich selbst stellt.
Forderungen nach der Aufweichung von Umsetzungsfristen oder der Ablehnung von notwendigen Strukturreformen bei der Verwaltungsdigitalisierung sind daher, wenn sie heute erhoben werden, schon aus der Zeit gefallen. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Tempo bei der digitalen Transformation, um die Verwaltung zu einem selbstbewussten Mitspieler auf Augenhöhe im digitalen Zeitalter zu machen.