In der Praxis durchzustarten bedeute, Erfolge in die Fläche zu tragen
⟩⟩⟩ von Paul Schubert und Thomas Petersdorff, Behörden Spiegel
Noch gut anderthalb Jahre bleiben Bund, Ländern und Kommunen, die Anforderungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zu erfüllen. Für die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, höchste Zeit, in der Praxis durchzustarten und messbare Erfolge für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Ihr Aufruf: „2021 soll ein Jahr der Umsetzung werden.” Doch wird mit Blick auf das herannahende Fristende vor allem eines deutlich: Die Einschätzungen über die Machbarkeit des Großprojektes OZG divergieren mitunter erheblich. In dem Punkt bildet auch der Freistaat Bayern, der mit einem Multi-Kanal-Ansatz und 55 bereits digitalisierten OZG-Leistungen eine Sonderstellung im Konzert der Länder beansprucht, keine Ausnahme. Skeptisch bleiben nicht zuletzt die Kommunen, die sich mehr Unterstützung wünschen.
„Weg mit den Stuhlkreisen, hin zu tatsächlichen Serviceleistungen für Bürgerinnen und Bürger” – der Appell von Staatsministerin Judith Gerlach fällt eindringlich aus. Ohne Zweifel habe die Corona-Pandemie der Digitalisierung hierzulande entscheidende Impulse gegeben, doch gelte es nun, Errungenschaften und Mindset der letzten Monate zu verstetigen, um sich künftig noch resilienter aufstellen zu können. Wesentlicher Bestandteil einer krisenfesten Verwaltung: die bürger- und wirtschaftszentrierte Abwicklung des Online-Zugangs. Oberstes Ziel müsse es sein, mit „Qualität und Komfort” zu überzeugen, betont Gerlach. Im Freistaat fahre man darum einen Multi-Kanal-Ansatz, der neben dem stationären Angebot auch mobile Lösungen im Portfolio führe.
„Mobile first ist schon seit Jahren die dominierende Strategie der führenden Unternehmen wie etwa Google und Facebook. Entsprechend steigt auch die Erwartungshaltung”, führt Gerlach aus. Mit der jüngst gelaunchten „BayernApp” biete man Bürgerinnen und Bürger nun auch auf dem eigenen Smartphone Zugriff auf staatliche und kommunale Serviceleistungen. Die App sei die erste ihrer Art in Deutschland und müsse als Version 1.0 nun sukzessive mit Leben erfüllt werden. Nicht zuletzt sei der Go-Live auch als Anstoß zu verstehen, die Phase der Theorie hinter sich zu lassen und bei der Umsetzung des OZG messbare Erfolge zu schaffen. Das ginge freilich nur im Team, meint Gerlach und ermuntert die Kommunen, das Projekt gemeinsam mit dem Land voranzubringen.
Digitalisierung ist Teamarbeit
Kooperation steht für die Staatsministerin auch bei der Nutzung bereits verfügbarer OZG-Leistungen im Vordergrund. Statt die Digitalisierung aller 575 Leistungsbündel in Angriff zu nehmen, habe man sich im Freistaat für eine Strategie der Priorisierung entschieden. Nachdem man sich einen Überblick verschafft habe, welche Services am meisten genutzt würden, seien die 55 Top-Leistungen Ende letzten Jahres online gegangen. Dabei bedeute Priorisierung keineswegs, den Anspruch auf Vollständigkeit fallenzulassen; erweitert werde lediglich das Zeitfenster für die Umsetzung, so Gerlach. Am Ende entscheide sich der Erfolg des OZG allerdings daran, inwieweit es gelinge, schon verfügbare Lösungen in die Fläche zu bringen. Es helfe nichts, Leistungen zu digitalisieren, wenn diese daraufhin nicht in den Kommunen – und damit bei den Bürgerinnen und Bürgern – ankämen.
Nach Ernst Bürger, Abteilungsleiter „Digitale Verwaltung, Steuerung OZG” im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), entwickelt sich der Prozess gut. So seien bereits über die Hälfte der OZG-Leistungen verfügbar. Diese allerdings nicht flächendeckend und in der erforderlichen Qualität. Dennoch hätten im Freistaat Bayern „bis Ende 2020 die wichtigsten Leistungen zur Verfügung” gestanden, so Dr. Vanessa Greger, vom Referat Digitale Verwaltung im Bayrischen Staatsministerium für Digitales (STMD). Die Referatsleiterin erklärt weiter, dass „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen fit gemacht werden müssen, die dürfen nicht allein gelassen werden”. Die wichtigsten Leistungen sind derweil bereits aktiv, darunter etwa die Beantragung des Führerscheins, des Bewohnerparkausweises und des Wohngelds. Ermöglicht wird dies u. a. mit dem Konjunkturpaket des Bundes, das die Förderung des Projektes mit drei Milliarden Euro unterstützt.
Besonders wichtig sei es dabei, dass „die Bedienung für die Bürger benutzerfreundlich” sei, betont Bürger. Der kommunalen Ebene falle dabei die wichtigste Rolle zu, da dort der engste Berührungspunkt mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen sei. Bei der Bewältigung der Digitalisierung bedienten sich kleine Kommunen vor allem am Markt oder nutzten zentrale Lösungen. Große Kommunen und Städte wollten lieber interne Ansätze verfolgen. Ziel solle es nach Greger aber sein, dass „Deutschlandweit ein eigener Weg gefunden wird“.
Hemmfaktor Föderalismus
Davon weicht die kommunale Perspektive doch erheblich ab. Für Dr. Uwe Brandl, erster Bürgermeister von Abensberg und Präsident des Bayerischen Gemeindetags, ist der Föderalismus mit einer der Gründe, weshalb sich die Digitalisierung in Form des OZG eher schleppend anlässt. „Wir sind nicht da, wo wir sein sollten”, konstatiert er und fügt an: „Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die föderale Systematik nicht für die notwendigen einheitlichen Prozesse die beste Plattform und den besten Katalysator bietet. Da helfen auch drei Milliarden Euro für die Umsetzung des OZG kaum.” Brandl sieht Bund und Länder in der Pflicht, gemeinsam mit den Kommunen die Voraussetzungen für solch einheitliche Systeme zu schaffen; die Verwaltung mitsamt ihren Fachverfahren eingeschlossen.
Doch nicht nur das: Wie Brandl ausführt, ist Digitalisierung mehr als nur E-Government und digitale Verwaltungsabläufe. Digitalisierung bedeute schließlich auch, ein vollkommen neues Ökosystem zu schaffen. Vor allem für den ländlichen Raum seien hier große Potenziale zu heben, die perspektivisch einen Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse leisten könnten. Entscheidend sei, dass nun Tempo aufgenommen und sich von einem Denken verabschiedet werde, das analoge Prozesse digitalisieren wolle. „Digitalisierung ist ein umfassendes und umwälzendes Umbauprojekt, das über die digitale Abbildung bisher analoger Vorgänge weit hinausgeht. Erst durch die Vernetzung zuvor meist getrennt voneinander agierender Bereiche entstehen bislang ungenutzte Mehrwerte.”