Smart Cities brauchen Bürgerbeteiligung und Wissenstransfer
⟩⟩⟩ von Matthias Lorenz, Behörden Spiegel
In Baden-Württemberg schreitet die Digitalisierung der Verwaltung in großen Schritten voran. So sieht es zumindest der CIO des Landes, Stefan Krebs. Auf dem Kongress „Baden-Württemberg 4.0” macht er aber auch deutlich: Das Thema Cyber-Sicherheit muss weiter im Fokus bleiben. Immer wieder gebe es erfolgreiche Angriffe. Auch im Mittelpunkt des Interesses: Smart City-Projekte. Hier kommt es vor allem auf Bürgerbeteiligung und Wissenstransfer an.
„Es ist unbedingt erforderlich, dass wir uns dem Thema Cyber-Sicherheit zuwenden”, fordert Krebs. Unabdingbar sei in dieser Hinsicht zum Beispiel, alle Vorhaben nach dem Prinzip „Security by Design” zu entwickeln. In Baden-Württemberg würden darüber hinaus alle Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) angewandt. Außerdem führe man in den Behörden regelmäßige Stresstests durch, um die IT-Sicherheitsstrukturen zu überprüfen
Personal ist ein Schlüsselfaktor
Wie der Landes-CIO weiter ausführt, habe das Land als weitere Maßnahme eine Cyber-Sicherheitsagentur gegründet. Ziel sei es, in den Landesbehörden bereits vorhandenes Know-how zu bündeln und Doppelstrukturen abzuschaffen. So sollen Synergieeffekte entstehen. Um mehr Personal für den Bereich der Cyber-Sicherheit zu gewinnen, unterstützt das Land laut Krebs einen neuen dualen Studiengang mit Vertiefungsschwerpunkt Cyber-Sicherheit.
Auch insgesamt ist das Personal ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung. Alles in allem schätzt Krebs die Digital-Fitness der Verwaltungsangestellten in Baden-Württemberg als „gut” ein. Gerade auf kommunaler Ebene gebe es jedoch noch einige Mitarbeiter, die sich dem Thema lediglich mit „gedämpftem Optimismus” widmen würden, zum Beispiel wegen des Drucks aus der Tagesarbeit heraus. Um dem entgegenzutreten und die digitalen Kompetenzen der Landes-, Kreis- und Kommunalverwaltungen zu stärken, gebe es die Digitalakademie BW, erläutert Krebs. Auf die Entwicklung des Weiterbildungsangebots ist er stolz: „Mehr als jede dritte Kommunalverwaltung nutzt Angebote der Plattform, andere Bundesländer bauen das Modell nach.” Um mehr digitale Kompetenz in die Verwaltung zu bringen, sei im neuen Koalitionsvertrag der Landesregierung außerdem festgehalten, externen Sachverstand einzubinden
Bürger in den Fokus nehmen
Bei der Verwaltungsdigitalisierung auf kommunaler Ebene darf jedoch nicht nur ans eigene Personal gedacht werden. Die Stadt Ulm setzt konsequent darauf, Digitalisierung vom Bürger her zu denken und möglichst viele auf dem Weg mitzunehmen. „Wir beziehen die Bürger mit sehr unterschiedlichen Beteiligungsformaten mit ein”, sagt Sabine Meigel, Leiterin der Geschäftsstelle Digitale Agenda der Stadt Ulm. So werde in Kürze ein Beteiligungscontainer in der Stadtmitte aufgestellt, wo Interessierte sich informieren und beteiligen könnten. Alternative Formate wie Spaziergänge seien wegen Corona entwickelt worden. Auch bei der Erstellung eines Datenethikkonzepts, bei dem die Stadt von Prof. Jörn von Lucke, Leiter des „The Open Government Institute” an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, unterstützt wurde, band die Stadt die Bürger mit in den Prozess ein. „Gerade die Bürgerbeteiligung ist elementar. Dadurch bekamen wir eine ganze Reihe von Vorschlägen, die wir noch gar nicht im Visier hatten”, so die Einschätzung des Professors für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik.
Auch die Stadt Freiburg im Breisgau legte bei der Erstellung ihrer Digitalisierungsstrategie großen Wert auf die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, wie Ivan Aćimović, Projektleiter des Smart-City-Projekts Freiburgs, berichtet. Beteiligung sei wichtig, um die in der Stadt vorhandene Vielfalt und Komplexität auch in der Digitalisierung abzubilden. „Insgesamt war es ein sehr aufwändiger Prozess”, sagt Aćimović. Man habe Konferenzen für die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Bürger abgehalten und unter anderem auch eine repräsentative Umfrage durchgeführt.
Im Kontext Smart City setzen Städte die verschiedensten Projekte um. „Wir wollen bei der Digitalisierung auch benachteiligte Personengruppen im Blick haben”, erklärt Meigel von der Stadt Ulm. So gebe es unter dem Titel „Ulmer Nest” Mini-Unterkünfte für Obdachlose. Diese Unterkünfte könnten Statusdaten via Long Range Wide Area Network (LoRaWAN) übermitteln. Auch Ältere sind im Fokus der Stadt: Junge, technikaffine Personen stünden als „Digitalmentoren” für Menschen bereit, die Hilfe mit digitalen Anwendungen bräuchten. Ein anderes Projekt, welches ältere Personen betreffe, sei durch Corona ausgebremst worden, berichtet Meigel. Die Stadt habe eine Musterwohnung „Leben im Alter” eingerichtet, in der viele digitale Lösungen wie ein smarter Tablettenspender oder eine universelle Fernbedienung getestet würden. Aufgrund der Pandemie hätten bis jetzt nur wenige Menschen die Wohnung ausprobieren können.
Ein Projekt, welches kürzlich in Freiburg gestartet ist, nennt sich „FreiburgRESIST”. Im Kern geht es darum, die Stadt für einen Krisenfall wie Naturkatastrophen oder eine Terrorlage resilienter zu machen. „Wir wollen ein Konzept erstellen, wie wir die Freiburger Innenstadt mit ihren engen Gassen und vielen Menschen in einer Krisenlage technologiegestützt schnell evakuieren können”, erläutert Projektleiterin Dr. Renate Häuslschmid. Helfen soll hierbei unter anderem ein digitales Stadtmodell inklusive Building Information Modelling (BIM), also digitalen 3D-Modellen von Gebäuden. „Im Einsatz helfen diese zum Beispiel Polizei und Feuerwehr sehr”, so Häuslschmid. Die Einsatzkräfte könnten zum Beispiel sehen, welche Gebäude im Umfeld des betroffenen Gebäudes lägen, welche Rettungswege es innerhalb des Gebäudes gebe, oder anhand der Gebäudegröße einschätzen, wie viele Personen es notfalls zu retten gelte.
Auf dem Weg zur Smart City legen Städte wie Ulm und Freiburg darüber hinaus Wert auf Nachhaltigkeit und das Prinzip „Offene Daten”. Dies ist vor allem wichtig, damit andere Städte und Regionen von Modellprojekten profitieren können, das Stichwort lautet Wissenstransfer. Freiburgs Smart-City-Projektleiter Aćimović hebt in diesem Zusammenhang hervor, man müsse gerade kleinere Kommunen auch befähigen, mit dem weitergegebenen Wissen auch etwas anfangen zu können. Dieser Punkt bereite ihm momentan noch Sorgen, auf diese Frage müsse eine Antwort gefunden werden. Prof. Lucke hält den Wissenstransfer ebenfalls für zentral und ist der Meinung, hierfür werde von Bundes- und Landesseite noch nicht genug getan: „Das muss man im Bund und im Land komplett neu aufstellen.” Es gehe darum, offene Schnittstellen, offene Standards und das Prinzip Open Source durchzusetzen. Heinrich Lorei, Teamleiter für kooperative Dateninfrastruktur und regionale Plattformen bei der Metropolregion Rhein-Neckar, betont, gerade kleinerer Kommunen hätten keine Kapazitäten, zwecks Wissenstransfer in jedem Arbeitskreis vertreten zu sein. Um den Austausch zu erleichtern, baue man in der Region eine Community-Plattform auf, über die sich auch Kommunen vernetzen können. Viele Projekte, wie zum Beispiel die von der Region betriebene Datenplattform, könnten solche Kommunen aber auch unmöglich allein stemmen. Deswegen führe man diese auf Ebene der Region durch.